Biografie

geboren 1962 in Bonn. 1983 bis 1988 Studium „Drama/Theater/Medien“ am Institut für Angewandte Theaterwissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen bei Andrzej Wirth und Hans-Thies Lehmann. Noch während des Studiums, 1987, beginnt Kroesinger für zwei Jahre als Regieassistent und Dramaturg für Robert Wilson zu arbeiten. Er ist beteiligt an dessen Inszenierungen „Hamletmaschine“ in New York, „Salome“ in Mailand und „The Forest“ in Berlin. 1989 wird er künstlerischer Mitarbeiter Heiner Müllers bei der Produktion „Hamlet/Hamletmaschine“ am Deutschen Theater Berlin.

Seit 1993 eigene Inszenierungen sowohl an renommierten Stadt- und Staatsbühnen wie dem Berliner Ensemble, dem Staatstheater Stuttgart, dem Bayrischen Staatsschauspiel oder dem Maxim Gorki Theater Berlin als auch in der freien Szene, vor allem am HAU, in den Sophiensalen, im Radialsystem, in der Staatsbank und im Podewil Berlin, im FFT Düsseldorf, im Festspielhaus Dresden-Hellerau oder dem Theaterhaus Gessnerallee Zürich.

Kroesingers Arbeiten wurden zu renommierten nationalen und internationalen Festivals wie „Politik im freien Theater“  (Hamburg 2003), „Cultura Nova“ (Herleen 2008) oder „Impulse“ (NRW 2009) eingeladen.

2007 erhielt der Regisseur den Brüder-Grimm-Preis des Landes Berlin für seine Kinder- und Jugendtheaterinszenierung „Kindertransporte“ im Berliner Theater an der Parkaue.

 

Hans-Werner Kroesinger ist einer der wichtigsten Vertreter des zeitgenössischen Dokumentartheaters. Bereits Anfang der 1990er Jahre, als an die gegenwärtige Renaissance des Dokumentarischen noch gar nicht zu denken war und Ex-Kommilitonen wie She She Pop oder Showcase Beat le Mot gerade das Pop-Theater erfanden, wälzte der Absolvent des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaften Akten zum Deutschen Herbst, zur Überwachungsarchitektur von Gefängnisbauten oder zum Prozess gegen den NS-Kriegsverbrecher Adolf Eichmann 1961 in Jerusalem. Seine minuziös recherchierten Arbeiten zeigt er sowohl in der freien Szene, vornehmlich dem Berliner HAU, als auch in Stadt- und Staatstheatern. Mit „Ruanda Revisited“ – einer Produktion zum Genozid an zirka einer Million Tutsi 1994 in Ruanda – wurde er 2009 zum renommierten Festival „Impulse“ eingeladen.

Bis zu 2.000 Buch- bzw. Aktenseiten, schätzt Kroesinger, lese er zur Vorbereitung auf eine neue Produktion. Die fünf Zeitungen, die er jeden Morgen standardmäßig durchblättert, sind da noch gar nicht eingeschlossen. Thematisch unterwirft sich der Regisseur keinerlei Trends. Zwar berühren Inszenierungen wie „suicide bombers on air. PRIMETIME“ (2003) oder „Kindersoldaten“ (2008) durchaus aktuelle politische bzw. gesellschaftliche Debatten. Aber zu Kroesingers vorrangigen Auswahlkriterien gehört die Tagesaktualität nicht. Es geht vielmehr darum, in der theatralen Aufarbeitung von Kriegen, Völkermorden oder politischen Entscheidungen komplexe historische Bögen zu spannen und darüber so genau wie möglich die jeweiligen politischen bzw. wirtschaftlichen Interessenslagen herauszuarbeiten.

Kroesinger sieht sich durchaus in der Traditionslinie des Dokumentartheaters der 1960er und 1970er Jahre, für das namentlich Dramatiker wie Rolf Hochhuth oder Peter Weiss stehen. Wie sie betrachtet der 1962 in Bonn geborene Regisseur die Bühne dezidiert als „Informationsmedium“ und „Analyse-Instrument“. Was seinen Ansatz allerdings von dem der älteren Kollegen unterscheidet, ist der ausdrückliche Verzicht auf jede Form von „Parteilichkeit“. „Das dokumentarische Theater“, formulierte Weiss seinerzeit programmatisch, „ist parteilich“ und „tritt ein für die Alternative, dass die Wirklichkeit, so undurchschaubar sie sich auch macht, in jeder Einzelheit erklärt werden kann.“ Aus Kroesingers Arbeiten spricht dagegen die Überzeugung, dass so etwas „Wahrheit“, zumal in postideologischen Zeiten, keine einfach zu entschleiernde Entität ist, sondern bestenfalls punktuell aus dem Spiel unzähliger Perspektiven aufscheint. Kroesinger geht es nicht darum, Standpunkte einzunehmen, sondern darum, „den Mechanismus durchschaubar zu machen, in dem man agiert.“ Deshalb kombiniert er stets verschiedene Blickwinkel, Texte und Medien so miteinander, dass sie sich gegenseitig kommentieren, ergänzen, bisweilen auch dekonstruieren. Kroesingers Arbeiten sind Versuchsanordnungen, in denen Dokumente mit literarischen Texten, Live-Spieler mit Videoübertragungen oder Statistiken mit Augenzeugenberichten in Beziehung gesetzt werden.

In „TRUTH - Commissioned by the Heart of Darkness“ (2002) beispielsweise – einem Abend, der Dokumente aus der belgischen Kolonialgeschichte mit Joseph Conrads Novelle „Das Herz der Finsternis“ und der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission konfrontierte – stellte Kroesinger den Schauspielern Monitore zur Seite, auf denen lediglich ihre Gesichter in Großaufnahme zu sehen waren, und lenkte den Blick so auf die extrem unterschiedlichen „Wahrheiten“, die der Fernsehausschnitt auf der einen und das Live-Gesamtbild auf der anderen Seite zu vermitteln scheinen. Ein anderes Beispiel: In „MorTal Combat“ (2000) – einer Produktion zum Kosovo-Krieg – verteilte der Regisseur das Publikum parallel auf drei Räume. Die erste Gruppe wurde minuziös über die Zerstörung der chinesischen Botschaft in Belgrad aufgeklärt, die zweite mit der sachlichen Schilderung des Mordes an einer albanischen Familie im Kosovo konfrontiert, und die dritte Gruppe hörte im Stil einer gerichtsmedizinischen Vorlesung von zwei Ärztinnen, welche Rückschlüsse die Wundränder tödlich Verletzter auf die Todesursache zulassen. Mit diesen unterschiedlichen Sichtweisen auf den Krieg ausgestattet, wurden zum Schluss alle drei Besuchergruppen bei einer inszenierten NATO-Pressekonferenz wieder  zusammengeführt und erlebten ihre Haltung zu dieser Veranstaltung in extremer Abhängigkeit von ihrem jeweiligen Vorwissen. Sichtbar werden in Kroesingers Arbeiten also keine fertigen Bilder oder Standpunkte, sondern vielmehr deren Baupläne bzw. Argumentationslinien. Deshalb agieren die Schauspieler grundsätzlich nicht im Einfühlungsmodus, sondern im Brechtschen Zeigegestus.

Dass neben Heiner Müller, an dessen Inszenierung „Hamlet/Hamletmaschine“ er 1990 am Deutschen Theater mitarbeitete, auch Robert Wilson zu seinen prägendsten Lehrern gehört, merkt man Kroesingers Sensibilität für Theaterarchitektur an. Eingedenk der Tatsache, dass die Sichtweise auf ein Geschehen zunächst einmal schlicht und einfach von der Position abhängt, die man am Tatort einnimmt, denkt der Regisseur Theater stark von räumlichen Konstellationen her. Wenn es die Spielorte zulassen, löst sich Kroesinger gern von der klassischen Guckkastenbühne und führt seine Zuschauer durch mehrere Räume, die – zumeist von der Bühnenbildnerin Valerie von Stillfried mit Dokumenten und Anschauungsmaterialien ausgestattet – einen installativen Charakter aufweisen.

Viele Rezensenten schätzen die Komplexität des Kroesinger-Theaters. Sie loben die Tatsache, dass der Regisseur seinen Zuschauern Konzentration abverlangt und beileibe nicht im Verdacht intellektueller Unterforderung steht, als enorme Qualität. Einige Kritiker beschreiben die Arbeiten aber auch als „spröde“ oder zu anspruchsvoll und bemängeln fehlende „Sinnlichkeit“.

Es sei eben, kontert Kroesinger selbst derartige Zuschreibungen ohne jeden Anflug von Beleidigtsein, „eher ein Arbeits- als ein Erlebnisangebot.“  

 


Werner Kroesinger was born in Bonn in 1962  and lives in Berlin now.  He studied drama, theatre and media from 1983 to 1988 with Andrzej Wirth and Hans-Thies Lehmann at the Institute for Applied Theatre Studies of the Justus Liebig University Gießen. In 1987, while he was still a student, Kroesinger began working as an assistant director and dramaturg for Robert Wilson, a position he held for two years. He was involved in Wilson’s productions of Hamletmachine in New York, Salome at the Scala in Milan and The Forest in Berlin. In 1989, he was a member of the creative team for Heiner Müller’s production of Hamlet/Hamletmachine at the Deutsches Theater Berlin, in these days East Berlin. He took part in „documenta X“ in Kassel in 1997.

Since 1993, he has directed his own productions at prestigious municipal and state-funded theatres, such as the Berliner Ensemble, the Volksbühne Berlin, the Staatstheater Stuttgart, the Bayerisches Staatsschauspiel München and the Maxim Gorki Theater Berlin, as well as on the independent scene, above all at the Hebbel am Ufer (HAU), the Sophiensaele, Radialsystem, the Staatsbank and Podewil in Berlin,  Forum Freies Theater (FFT) in Düsseldorf, the Festspielhaus Theatre at Dresden-Hellerau, the Theaterhaus Gessnerallee in Zürich and Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe ZKM. Since the year 2000 he developes the performances together with the filmmaker and author Regine Dura.

Kroesinger has been invited to take his works to high-profile national and international festivals, including Politics in the Independent Theatre (Hamburg, 2003, Dresden 2011, Basel and Freiburg 2014), Cultura Nova (Herleen, 2008) and Impulse (Cologne and Düsseldorf, 2009), Kunstfest Weimar 2014, Mess Festival Sarajevo, Bitef Belgrade, Theatre Festival Tallin and  International Theatre Festival Vilnius.

In 2007, the director was awarded the Brothers Grimm Prize of the Land of Berlin for his Kindertransporte, a production for children and young people at the Theater an der Parkaue in Berlin. His work with Regine Dura Stolpersteine Staatstheaterwas for the Staatstheater Karlsruhe was selected in 2016, to showcase at the most important german-speaking theatre festival, Theatertreffen at Berlin.

 

He also directed “Neues Musiktheater” New Music Theatre works at the Staatsoper Stuttgart and Staatsoper Berlin.

His latest production  #Meinungsmacher – Opion makers” together with Regine Dura at Theater Erlangen was dealing with the power of social media in the last elections in USA and as a tool for the control of people in China.